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„Kampf gegen Korruption: Zu wenig Fische im Netz?“

„Kampf gegen Korruption: Zu wenig Fische im Netz?“

Expertendiskussion zum Richtlinienvorschlag zur Korruptionsbekämpfung

Auf Einladung von Dr. Benjamin Limbach, Minister der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen, veranstaltete die Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen bei der Europäischen Union am 12.06.2023 eine Online-Expertendiskussion zum Thema „Kampf gegen Korruption: Zu wenige Fische im Netz? Wie Korruption im privaten und öffentlichen Sektor besser bekämpft werden kann“. Grundlage der Diskussion war der Richtlinienvorschlag zur Korruptionsbekämpfung in der Europäischen Union (COM(2023) 234 final), der von Europäischen Kommission am 03.05.2023 veröffentlicht wurde.

In seinem Grußwort betonte Minister Dr. Limbach, dass Korruption kein Randphänomen sei. Korruption koste die EU-Wirtschaft nach vorsichtigen Schätzungen derzeit mindestens 120 Milliarden Euro pro Jahr. Aus dem Grund sei es ein Gebot der Stunde, dass die EU und die Mitgliedstaaten entschlossen gegen Korruption vorgehen. Er wies auf folgende drei Aspekte des Richtlinienvorschlags hin: 1.) die Einrichtung spezialisierter Korruptionsbekämpfungsstellen; 2.) Stärkung des Anzeigeverhaltens (durch den Schutz und Strafmilderung von Whistleblowern) und 3.) die Schaffung neuer Straftatbestände über den bereits bestehenden Kreis „klassischer“ Korruptionsdelikte hinaus wie die bezahlte Einflussnahme auf Entscheidungsträger und die unrechtmäßige Bereicherung aus Korruption.

Ute Stiegel, stellvertretende Referatsleiterin bei der Kommission (Generaldirektion Migration und Inneres) unterstrich in ihrer Keynote die vom Minister ausgeführten Gefährdungspotentiale: Korruption untergrabe die „demokratischen Werte und Institutionen“ und stelle ein Wachstumshemmnis sowie ein zunehmendes Sicherheitsrisiko dar. Neben den von Minister Dr. Limbach herausgestellten Aspekten wurde von Frau Stiegel der Fokus insbesondere auf die Einführung starker Präventivmaßnahmen (u.a. durch begleitende Informations- und Forschungsprogramme, die das öffentliche Bewusstsein stärken sollen), die Verschärfung von Sanktionen gegen natürliche und juristische Personen sowie die Einführung von Mindestverjährungsfristen zwischen acht und 15 Jahre gelegt.
In Videostatements unterstrichen MdEP Daniel Freund (Grüne), Vorsitzender der fraktionsübergreifenden Arbeitsgruppe gegen Korruption im Europäischen Parlament und Andrés Ritter, Stellvertretender Europäischer Generalstaatsanwalt der Europäischen Staatsanwaltschaft, ebenfalls, dass Fortschritte bei der Korruptionsbekämpfung dringend angezeigt seien. Ritter betonte, es gebe erheblichen Nachbesserungsbedarf im Richtlinienvorschlag, da die neu einzuführenden Tatbestände wenig konturiert seien und daher absehbar sei, dass es in der nationalen Ausgestaltung zu erheblichen Abweichungen kommen werde. Grund sei eine unzureichende Folgenabschätzung der Kommission. Mit einem „nationalen Flickenteppich“ sei das Ziel der (Mindest-)Harmonisierung nicht vereinbar. Außerdem beklagte er die fehlende Kongruenz mit dem bereits bestehenden Regelwerk. Insbesondere hinsichtlich der PIF-Richtlinie (EU 2017/1371) sehe er die Problematik, dass die Zuständigkeit der Europäischen Staatsanwaltschaft in vielen grenzüberschreitenden Fällen dann nicht mehr ausgeübt werden könne.

Die Diskussion mit Dr. Anna-Maija Mertens, Geschäftsführerin von Transparency International Deutschland e.V., Heike Deters, Syndikusrechtsanwältin und Head of Compliance & Legal Operations der Covestro AG sowie Hauke Alexander Lorenzen, Staatsanwalt der Schwerpunktstaatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftskriminalität in Düsseldorf, fokussierte sich insbesondere auf Themenbereiche Compliance Management, nationale und praktische Umsetzung der Richtlinie, Schutz von Whistleblowern und Kulturwandel in Unternehmen.

Einhellige Auffassung war, dass es zu einem tiefgreifenden Kulturwandel in Unternehmen hin zu Compliance, Transparenz und ethisch verantwortlicher Geschäftsführung kommen müsse, welcher – so Staatsanwalt Hauke Alexander Lorenzen – idealerweise in einem geänderten Anzeigeverhalten resultieren solle. Aktuell stünden Staatsanwaltschaften vor der Herausforderung, dass Korruptionsermittlungen aufgrund von fehlenden oder verspäteten Anzeigen nicht zum geeigneten Zeitpunkt aufgenommen werden könnten und damit die Beweisführung für die Staatsanwaltschaften vor signifikante Hindernisse gestellt würde. Um den Kulturwandel voranzutreiben sei – nach den Ausführungen von Covestro-Syndikusrechtsanwältin Deters – ein einsprechendes Commitment der Unternehmensführung zwingend notwendig, welches wesentlich durch erhöhte Unternehmensstrafen hervorgerufen werden könne. In dem Zusammenhang stellte Staatsanwalt Lorenzen ebenfalls eine Abkehr vom Opportunitätsprinzip hin zum Legalitätsprinzip im Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) in den Raum, welche in einer entsprechenden Neuaufstellung der Wirtschaftskriminalitätsschwerpunktstaatsanwaltschaften resultieren müsse.
Ferner wurde insbesondere von Staatsanwalt Lorenzen der Schutz von Whistleblowern hervorgehoben. Er könne um eine strafprozessuale Komponente ergänzt werden, die auch die Identität der Whistleblower (bspw. bei Akteneinsicht) effektiv schützen würde. Das würde in Verbindung mit der Aussicht auf die vorgeschlagenen Strafminderungsmöglichkeiten die Anreize für das Anzeigen von Korruption signifikant erhöhen. Ein solch weitgehender Anreiz sei aus Sicht von RA Deters wiederum weder notwendig noch zielführend. Begrüßt wurde weiterhin, zu einem ganzheitlichen Ansatz bei der Korruptionsbekämpfung überzugehen, welcher dem – von Transparency International Deutschland-Geschäftsführerin Dr. Mertens als „wichtigen Impuls für mehr Transparenz“ beschriebenen – Kommissionsvorschlag trotz weiteren Anpassungsbedarfs zuzusprechen sei. Die Kommission stellte eine möglichst baldige Umsetzung in Aussicht. Es sei nicht intendiert, die Kompetenzen der Europäischen Staatsanwaltschaft zu beschneiden.
Minister Dr. Limbach schloss die Veranstaltung mit dem Appell an die Notwendigkeit, den Richtlinienentwurf positiv begleitend weiterzuentwickeln. Außerdem müssten die öffentlichen Institutionen zur Sicherung des ihnen entgegengebrachten Vertrauens beweisen, dass sie im Feld der Korruptionsbekämpfung handlungsfähig seien.

Link zur Veranstaltung: https://www.youtube.com/watch?v=538jKbui7Ug